Jan-Moritz Jericke ist Geschäftsführer von PROJECT CLIMATE und begleitet Organisationen bei der Transformation ihrer Mobilität. Auch in der vorherigen Position als Teamleiter Vertrieb und Unternehmenskunden bei atmosfair trieb er die nachhaltige Mobilität bei Organisationen durch CO2-Reduktion und -Kompensation von Geschäftsreisen voran. Seine Überzeugung: Eine nahezu CO2-freie Gesellschaft Mitte des Jahrhunderts ist machbar, wenn Organisationen in ihrem eigenen Interesse vorangehen und die Chancen agiler Mobilität nutzen.

Digitalisierung und Flexibilisierung prägen schon länger die Entwicklungen in der Arbeitswelt (Stichwort „New Work“). Corona hat hier eine unerwartete, extreme Beschleunigung gebracht, die auf die vorhandenen Entwicklungen aufsetzt: Plötzlich arbeiteten (und arbeiten immer noch) viele Menschen mobil, auch in Unternehmen, die das bislang nicht erlaubt haben. Virtuelle Treffen wurden zum Standard, Dienstreisen auf fast Null heruntergefahren, obwohl Unternehmen auch schon in der Vergangenheit „nur wirklich notwendige Dienstreisen“ durchgeführt haben.

Was bedeutet das für die Zukunft der geschäftlichen Mobilität? Wie sieht es eigentlich in anderen Teilen der Erde aus? Und was ist mit den Menschen, für die mobile Arbeit überhaupt keine Option ist?

Die Antworten auf diese Fragen liefert das folgende Interview.

In euren Projekten erhebt ihr viele Daten über Mobilitätsverhalten. Welche Veränderungen durch Corona seht ihr?

In den Umfragen und Analysen,  die wir für unsere Kunden machen, bestätigt sich der allgemein Trend, den man überall beobachtet: es gibt viel weniger Mobilität, es wird viel mobil gearbeitet, Individualmobilität (Auto, Fahrrad, Roller etc.) nimmt zu, öffentlicher Verkehr nimmt ab. Soweit war das wenig überraschend. Interessant ist aber, dass wir jahrelang darüber geredet haben, dass eine Mobilitätswende nötig ist, aber nichts ist passiert, weil Mobilität eben sehr viel mit Gewohnheit zu tun hat und schwer zu verändern ist. Corona war hier als externer Schock sehr wirksam.

Gibt es bereits Tendenzen oder Daten dazu, ob sich die Mobilität nachhaltig verändert, oder kehren wir wieder zum „Vor-Corona-Zustand zurück?

Wir werden auf keinen Fall zum vorherigen Zustand zurückkehren. In allen Befragungen, die wir durchführen, zeichnet sich ein klares Bild ab: Es wird, wo es möglich ist, an mehreren Tagen pro Woche mobil gearbeitet werden, der Fahrradboom wird anhalten und Unternehmen werden je nach Situation 20-50 % weniger Geschäftsreisen durchführen. Das sind gravierende Veränderungen. Nur die Situation des öffentlichen Verkehrs sehe ich noch nicht klar. Man sieht teilweise Tendenzen, dass das Angebot aufgrund von Kostendruck reduziert wird. So wird er keine Chance haben. Die Leute wollen den ÖPNV nutzen, aber nur wenn er zuverlässig funktioniert und flächendeckend verfügbar ist.

Wie ist die Situation außerhalb von Deutschland und Europa? Gibt es dort ähnliche Tendenzen?

Interessanterweise scheint es einen globalen Konsens zu geben, wie viel mobiles Arbeiten sinnvoll ist. Wir haben Mitarbeiterbefragungen an Standorten weltweit durchgeführt. Überall kam die Rückmeldung, dass für die meisten Mitarbeiter*innen 2-3 Tage mobiles Arbeiten pro Woche optimal sind.

In anderen Bereichen sieht die Situation aber sehr divers aus. In vielen Ländern Lateinamerikas zum Beispiel wurde im Zuge der Pandemie privates Autofahren verboten, damit die Mobilität zurückgeht. Da sind dann die Leute auf öffentliche Verkehrsmittel und Taxis umgestiegen. In Asien gab es einen Trend hin zu Roller und Fahrrad, in afrikanischen Ländern hat sich alles aufs Auto verlagert. Die Auswirkungen werden also stark von der lokalen Situation beeinflusst.

Auf was müssen sich Unternehmen und Organisationen einstellen, was können Sie tun, um diese Entwicklungen aufzugreifen und für sich zu nutzen?

Die von außen aufgezwungenen Veränderungen sind ein riesige Chance. Organisationen sollten die veränderte Ausgangslage nutzen und viel mehr virtuell kommunizieren. Persönliche Treffen werden für entsprechende Anlässe aber weiterhin wichtig sein. Bei Geschäftsreisen sollten Organisationen daher klare Kriterien einführen und nutzen, zu welchen Anlässen noch persönlich gereist wird und wann virtuell kommuniziert wird.

Bei Arbeitswegmobilität und Fuhrpark ist die Devise Flexibilisierung. Ein Jobticket oder ein Dienstwagen sind unter den neuen Umständen wahrscheinlich nicht mehr die passenden Instrumente, um alle Mitarbeiter*innen glücklich zu machen. Hier kann man mit flexiblen Angeboten oder Mobilitätsbudgets ganz neue Akzente setzen und als Arbeitgeber punkten.

Wie wirken sich die Veränderungen auf den Klimaschutz aus?

Um die Klimakrise noch einigermaßen einzudämmen, müssen wir die CO2-Emissonen der Mobilität in den nächsten 20-30 Jahren auf quasi Null herunterfahren. Durch den Rückgang der Mobilität aufgrund von mobilem Arbeiten und mehr virtueller Kommunikation gehen erstmal die CO2-Emissionen zurück. So gewinnt man Zeit, um die Verkehrsmittelnutzung und auch die CO2-Bilanz der Verkehrsmittel selbst zu transformieren, was ein langwieriger Prozess ist. Wenn wir diese Chance konsequent nutzen, erreichen wir schnell genug eine CO2-freie Mobilität Mitte des Jahrhunderts und haben bereits auf dem Weg dorthin genug CO2 eingespart. Wir als PROJECT CLIMATE arbeiten mit unseren Kunden genau daran unter dem Stichwort agile Mobilität– ich bin mittlerweile ziemlich optimistisch, was den Umbau der Mobilität angeht.

Und was ist eigentlich mit Arbeit, die gar kein mobiles Arbeiten erlaubt? Welche Veränderungen sind hier zu erwarten?

Auch hier gilt, Mobilität muss flexibler werden und sich besser den Bedürfnissen der Mitarbeiter*innen anpassen. Die Veränderungen, die wir in anderen Kontexten sehen (s. oben) werden auch hier greifen. Außer dass wir hier keinen Einmal-Effekt für den Klimaschutz haben, sehe ich also langfristig keine grundlegenden Unterschiede zu anderen Organisationen.

Über PROJECT CLIMATE

PROJECT CLIMATE beschleunigt mit ihrem Beratungsansatz seit 2012 die Mobilitätstransformation von Organisationen. So bleiben Organisationen zukunftsfähig, steigern die Zufriedenheit Ihrer Mitarbeiter*innen und schützen das Klima.