Über die Autorin

Janine Steeger
Journalistin, Moderatorin, Speakerin und Medientrainerin

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Das eigene Auto

Der Weg zu einer Mobilität ohne eigenes Auto war hart für mich. Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Einen Führerschein zu haben und mit irgendeiner Klapperkiste von Dorfdisco zu Dorfdisco fahren zu können war dort der Inbegriff von Freiheit. Wer vom Land kommt, weiß: Bus und Bahn fahren dort schon lange nicht mehr, wenn die Party gerade erst anfängt. Es war also vollkommen klar, dass ich mit dem Tag meines 18. Geburtstags auch den Lappen in der Hand halten musste. Von meinen Eltern bekam ich den Schlüssel zu einem uralten weinroten Golf, der zur Fahrzeugflotte unseres Baustoffhandels gehörte und den ich fortan benutzen durfte, wenn ich es denn schaffte, die Kaltstarthilfe, den sogenannten Choke, zu bedienen. Darüber hinaus standen zwei weitere Autos in der Garage. Meine Eltern hatten immer zwei Autos, wie die meisten anderen Eltern auf dem Land auch. Wie sollte man sonst alles geregelt bekommen? Zur Arbeit fahren, die Kinder zu sämtlichen Hobbys und Freunden kutschieren, Einkaufen … So verrückte Sachen wie Sharing oder Fahrgemeinschaften kamen in unserem Wortschatz überhaupt nicht vor. Ein Leben ohne Auto oder auch schon nur mit einem statt zweien – unvorstellbar. Auf den alten roten Golf mit Choke folgten ein schwarzer Golf, ein hell- grüner Polo, ein tiefergelegter Citroën in Schwarz (auf dem Land war das nicht so peinlich, wie es jetzt klingt) und irgendwann viel später mein Traumauto: ein Volvo Kombi. Mein Geld reichte nicht für den ganz großen Traum, einen V70. Es wurde ein V50, und ich war unendlich stolz.

Das war übrigens das erste Mal, dass ich so was wie Gefühle für ein Auto hatte. Bei uns zu Hause war es zwar Usus, dass meine Mutter unseren jeweiligen Autos Namen gab und sie damit irgendwie zu Familienmitgliedern er- nannte. Für mich waren die Blechkisten aber immer nur Mittel zum Zweck – bis zu ebenjenem Volvo. 2007 habe ich ihn in Berlin gekauft, nagelneu und inklusive Familienplanung. Ich erinnere mich noch gut, dass ich dem Händler Ledersitze in den Kaufvertrag diktierte, damit ich später die Kinderkotze besser wegwischen könne – einen gewissen Pragmatismus hatte ich schon immer. Wer konnte damals ahnen, dass ich erst vier Jahre später Mutter werden und nicht lange danach dieses Auto verkaufen und gegen ein Lastenrad tauschen würde?

Das Umdenken

… Der heiß geliebte Kombi war mir ein treuer Begleiter, und unser gemeinsames Leben entwickelte sich genau so, wie ich mir das immer erträumt hatte. Ich fand ihn optisch toll, auch seine inneren Werte stimmten, er musste nur selten zur Reparatur, und ich fühlte mich bei ihm sicher und geborgen. Die perfekte Beziehung. Sogar als wir Eltern werden, den Ledersitzen sei Dank. Und doch ist irgendwann die Luft raus. Wir haben uns auseinandergelebt. Mein Engagement für die Klimaschutzcommunity Köln ist der Anfang vom Ende. Bei einer Presseveranstaltung komme ich als Botschafterin mit Kölnern ins Gespräch. Was jeder Einzelne zum Klimaschutz beitragen könne, ist die Frage. Und nicht wenige erzählen mir, dass sie längst kein eigenes Auto mehr hätten, weil das in einer Großstadt wie Köln vollkommen überflüssig sei. Heimlich, still und leise beginnt es in mir zu arbeiten. Ist das wirklich so leicht, ein Leben ohne eigenes Auto? Wäre das nicht der nächste wichtige und richtige Schritt in Richtung Nachhaltigkeit?

Einige Wochen später fährt mir die Entscheidung praktisch vor die Füße. Gemeinsam mit Freunden verbringen wir ein Wochenende in Berlin. Es ist warm, wir sitzen zum Essen draußen. Mittendrin kommt jemand mit einem Lastenrad angefahren und parkt das Teil direkt in meinem Blickfeld. Es sieht besonders aus, fast ein bisschen futuristisch. Es hat nur zwei Räder, der Kasten ist längst nicht so klobig, wie ich das von anderen Modellen kenne, und verjüngt sich nach vorne. Noch dazu ist es schwarz, was ihm zusätzliche Coolness verleiht. Nicht nur mir ist das Rad aufgefallen. Auch mein Mann und unsere Freunde starren es an. Wir beginnen zu philosophieren: Was wäre, wenn das unser neues Fahrzeug wäre? Wenn wir unser Auto abschaffen würden?

Der Gedanke lässt uns das ganze Wochenende nicht mehr los. Wir spielen alle Szenarien durch, die wir mit unserem Auto verbinden. Einkaufen, Eltern besuchen, Kind, Hobbys, und kommen immer wieder zum gleichen Ergebnis: Alles ist auch ohne Auto machbar, und wir würden so irre viel sparen – CO2, Geld und Zeit, die wir bislang im Stau vergeuden. In unserer Familienkutsche treten wir die Heimreise an und haben den festen Vorsatz, das Auto zu Hause einfach mal stehen zu lassen für einen hand- festen Realitätscheck. Zu diesem Realitätscheck kommt es aber nie, denn zurück in Köln, scheitert mein Vorsatz unentwegt an meiner Bequemlichkeit.

Mein Mann, aufgewachsen in Berlin und schon immer Fahrradfahrer, ist nicht das Problem. Er ist vorher mit dem Rad zur Arbeit gefahren und macht es jetzt auch. Bei mir gehen die Ausreden schon damit los, dass ich kein vernünftiges Fahrrad habe. Meines fährt sich so schwer, der Kindersitz macht es auch nicht besser, und Einkäufe lassen sich damit schon gleich gar nicht bewältigen. Mit dem ÖPNV kenne ich mich nicht aus. Wie lächerlich ist das denn bitte? Ist aber die Wahrheit. Ich habe bislang so selten den öffentlichen Personennahverkehr genutzt, dass ich von Tuten und Blasen keine Ahnung habe. Sobald ich darüber nachdenke, ob ich es vielleicht doch mal mit dem Bus versuche, erscheint mir das alles viel zu anstrengend. Wann fährt dieser Bus denn eigentlich? Wo ist die Haltestelle? Was kostet das? Kann man eigentlich im Bus bezahlen, und geht das auch mit Karte? Während ich mir all diese Fragen stelle, steht das Auto in der Tiefgarage. Zum Greifen nah, nur wenige Meter entfernt. Ich kann direkt aus dem Keller zum Stellplatz gehen. Und jetzt sieht es auch noch so aus, als würde es anfangen zu regnen … So wird das nichts. Solange das Auto da ist, werde ich nicht umsteigen. DAS AUTO MUSS WEG! Eine bittere Erkenntnis. Eine einschneidende Erkenntnis. Das autoverwöhnte Mädchen vom Land will es jetzt wirklich wissen. Ob das gut gehen kann?

Wir haben uns entschieden. Ein Leben ohne eigenes Auto ist möglich. Und wir machen das jetzt. Ich fühle mich beschissen und euphorisch zugleich, als ich Fahrzeugschein, Fahrzeugbrief und die Autoschlüssel beim Händler abgebe, der mein einstiges Traumauto für einen guten Preis an einen neuen Besitzer gebracht hat. Beschissen, weil eine endgültige Trennung sich einfach immer furchtbar anfühlt. Euphorisch, weil ich Lust auf Neues habe und mich jetzt schon auf all das Gute freue, das diese Entscheidung mit sich bringt. Von dem Geld, das wir für das Auto bekommen, können wir uns das elektrische Lastenrad leisten, in das wir uns in Berlin verguckt haben. Und auch mein Mann bekommt ein E-Pedelec – als ausgleichende Gerechtigkeit und weil es Spaß macht.

Der neue SUV – das Lastenrad

Für uns beginnt eine neue Ära. Eine Ära ohne eigenes Auto. Und in der ist längst nicht alles Gold, was glänzt. Zumindest lösen sich aber alle Bedenken meiner Eltern schnell in Luft auf. Einkaufen ist problemlos möglich. In mein Lastenrad passt irre viel rein. Ich habe schon die gesamten Alkoholvorräte für eine Party darin transportiert – und ich habe trinkfeste Freunde. Hinzu kommt, dass wir fast täglich kleine Mengen Lebensmittel einkaufen. Hat neben der Platzersparnis den Vorteil, dass wir kaum Essen in den Müll schmeißen. Die berühmten Wasserkisten müssen wir nicht transportieren, weil wir nur stilles Wasser trinken, und das kommt aus der Leitung, und man könnte es ja auch mit einem Wassersprudler simpel und ohne Schleppen aufbereiten. Und wenn es dann doch der Kasten Sprudelwasser oder Limo oder Bier sein muss: geht. Passt auch ins Lastenfahrrad. Ohne Kind sogar zwei bis drei davon. Sämtliche Termine – ob die Hobbys unseres Sohnes, unsere eigenen, Verabredungen oder auch Familienbesuche auf dem Land – lassen sich problemlos bewältigen:

Quelle: LinkedIn

Der öffentliche Personennahverkehr ist besser, als man denkt, und damit eine gute Ergänzung zum Fahrrad. Die meisten Wege können wir mit Bus und Bahn zurücklegen und sind oft sogar schneller da. Ich ertappe mich bis heute dabei, dass ich manchmal ganz erstaunt bin, zwischen welchen Orten es gute Verbindungen gibt. Die Digitalisierung macht es uns besonders leicht. Einfach Start- und Zieladresse in eine App eingeben, und fertig. Übrigens gibt es auch zu meinen Eltern eine sehr komfortable Verbindung mit der Regionalbahn – hat bislang nur nie jemand in der Familie so richtig wahr- genommen. Wenn es doch mal zu umständlich wird mit dem ÖPNV, nutze ich Carsharing. Das kann zum Beispiel passieren, wenn ich mitten in der Nacht los muss. Taxi finde ich meist zu teuer. Also miete ich mir ein Auto. Da würde ich mir übrigens wünschen, dass die größten Anbieter großflächig auf alternative Antriebe zum Verbrennungsmotor setzen würden.

Klingt also alles nach eitel Sonnenschein. Und damit sind wir bei einer der Kehrseiten der Medaille: dem Wetter. Das kann ja durchaus mal schlecht sein. Durch den Klimawandel nehmen sogar Unwetter zu. Und so kann es zu folgenden Situationen durchaus häufiger kommen …

In der Sekunde, als wir mit dem Lastenrad losfahren, fängt es an zu schütten. Es regnet in Strömen, der Wind peitscht mir die Regentropfen ins Gesicht. Und zu allem Überfluss mischen sich auch noch Hagelkörner dazwischen und tun richtig weh. Dann ein Blitz, gefolgt von Donner. Mein Sohn, der zusammen mit einem seiner Cousins vorne drinsitzt, schreit: »Mama, ich hab Angst.« Ich finde seine Gefühle weiß Gott nicht abwegig, sage aber mütterlich beruhigend: »Musst du nicht. Uns passiert nichts.« Eigentlich schreie ich die Worte. Gegen den Wind, damit er mich überhaupt hört. Trotz des Unwetters kommen wir unversehrt beim Schlagzeugunterricht an, wenn auch emotional aufgewühlt. Die Kinder sind sogar trocken geblieben, denn das Lastenrad hat ein Regendach. An mir hingegen läuft das Wasser nur so runter, das Make-up ist verschmiert, der Mantel durchweicht, ich fühle mich wie ein begossener Pudel. Das ist definitiv einer der Momente, in denen ich mich dafür verfluche, das Auto abgeschafft zu haben, mindestens aber dafür, an diesem Tag nicht auf Carsharing gesetzt zu haben.

Natürlich ist das Wetter nicht das einzige Problem. Auch ich finde es furchtbar, wenn die Straßenbahn bumsvoll ist und ich neben Menschen stehe, die Deo oder Seife für eine überflüssige Erfindung halten. Auch ich bin tödlich genervt, wenn Mitmenschen in öffentlichen Verkehrsmitteln null Rücksicht auf andere nehmen und lautstark ewig lange Telefonate führen, mit Inhalten, die einfach überhaupt nicht für fremde Ohren bestimmt sind. Ich weiß von einigen mir völlig unbekannten Personen in Deutschland, warum ihnen gekündigt wurde, und ich hätte schon bei diversen Elektroplanungen fürs Haus eingreifen können, weil ich die Ideen des Bauherrn dazu für suboptimal gehalten habe. Ganz ehrlich, in diesen Momenten sehne ich mich nach Ruhe, nach guten Düften, nach Sauberkeit, nach Einsamkeit – allein im eigenen Auto.

Und auch das Thema Angst lässt mich gelegentlich ein Auto zurückwünschen. Je älter unser Sohn wird, desto mehr will ich ihn selbst Fahrrad fahren lassen. Deshalb habe ich zusätzlich zum Lastenrad inzwischen auch ein normales Rad, mit dem ich neben unserem Sohn herfahren kann. Aber ich kriege immer noch einen halben Herzinfarkt, wenn ich mit ihm auf jeweils eigenen Rädern im Kölner Straßenverkehr unterwegs bin. Wie in vielen anderen Städten auch haben Autos hier nahezu überall Vor- rang und die natürliche Übermacht. Ich muss sehr entspannt sein, um eine gemeinsame Tour mit meinem Sohn zu überstehen. Denn meine vielen Schreie wie »Stopp«, »Achtung«, »Anhalten«, »Sei vorsichtig« stressen mich ungemein. Wirklich sichere Fahrradwege mit einer baulichen Begrenzung und gesetzlich vorgeschriebene Abbiegeassistenten für Lkw wären eine enorme Hilfe. Aber solche Gedanken sind Momentaufnahmen, und es gelingt mir gut, mich schnell auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, indem ich mir die vielen Vorteile meines neuen, zukunftsfähigen Mobilitätsverhaltens vor Augen führe.

#Erkenntniss 1

Es spart unheimlich viel Geld. Allein die Abschaffung des eigenen Autos spült pro Jahr horrend viel frei gewordene Kohle in die Familienkasse. Selbst eine rege Nutzung von ÖPNV, Carsharing, Rollersharing, Bikesharing, Taxen und sonstigen Angeboten kostet niemals so viel wie ein eigenes Auto. Auch Inspektionen und Reparaturen an den Rädern dazugerechnet, machen den Bock nicht gleichwertig fett.

#Erkenntniss 2

Ich bin deutlich fitter. Weil ich mich einfach viel mehr bewege, auf dem Fahrrad und zu Fuß. Rückblickend halte ich es manchmal für verrückt, für welch kurze Strecken ich früher ins Auto gestiegen bin. Sogar bei gutem Wetter, einfach weil es da war. Hätte ich damals schon einen Schrittzähler gehabt, ich hätte regelmäßig eine Krise bekommen. Heute laufen sich die empfohlenen 10.000 Schritte pro Tag fast von selbst.

#Erkenntniss 3

Ich bin glücklicher. Das hat mehrere Gründe: Ich verschwende keine wertvolle Lebenszeit mehr im Stau. In Berlin standen Autofahrer im Jahr 2018 im Schnitt 158 Stunden im Stau. Sind wir eigentlich irre? Niemand weiß, wie viel Zeit er oder sie überhaupt hier auf Erden hat. Da bin ich doch nicht so bekloppt und setze mich einen Großteil davon in ein Auto und warte darauf, dass es weitergeht. Ich bin auch deshalb glücklicher, weil ich mehr Begegnungen mit Menschen habe. Klar gibt es auch schräge Zusammentreffen, auf die ich durchaus verzichten kann. Aber ganz grundsätzlich brauchen wir wieder mehr Miteinander. Und das fängt im ganz Kleinen an. Mit einem Lächeln, einem »Guten Tag«, einem Hilfsangebot oder einfach einem kurzen netten Plausch. #einfachmalmachen

gehört zu den Gästen des ersten driversity Talkrunde „5 vor 10“. Zusammen mit Frank Noe, Fahrrad Enthusiast, JobRad, Sebastian Hofer, Blogger & Mobilitätsexperte und Stefan Eisenmann, Vorstand Stadtwerke Pfaffenhofen spricht driversity Moderator Mirko Schulte (GLS Mobilität) über die Chancen und Hürden von Mikromobilität in kleineren Städten.

Wann?  20. April 2021
  9.55 – 11.00 Uhr

Interessiert? Dann gleich kostenlos anmelden unter:  https://21zone.eu/networks/events/54384
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