Neue Wege betrieblicher Mitarbeitermobilität – ein Interview

Im Rahmen des Projekts „Neue Wege betrieblicher Mitarbeitermobilität (BMM)“ haben wir drei Mobilitätsexperten und zugleich Teilnehmer des Showcases BMM Frank, Clemens und Max nach ihrer Vision für die Mitarbeitermobilität der Zukunft gefragt. Was Sie uns zu berichten haben könnt Ihr im Folgenden ausführlich lesen.

Clemens Rath
Mobility Excellence

Max Mooij
Mobilitätsanalyst

Frank Christian Hinrichs
Inno2Grid

driversity: Warum muss die betriebliche Mitarbeitermobilität (BMM) mehr in den Fokus rücken?

Max: BMM muss mehr in den Fokus rücken, da dadurch eine nachhaltigere und umweltfreundlichere Art des Reisens und Arbeitens entstehen kann. Neben den Umweltaspekten erleichtert BMM aber vor allem den Mitarbeitern das Pendeln. Sie können selbst entscheiden, ob sie zum Beispiel mit den öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen wollen oder bei gutem Wetter auch mal das Fahrrad nehmen möchten. Und zu guter Letzt kann man mit der flexibleren Art zu Reisen auch noch bares Geld sparen.

Clemens: Die tägliche Fahrt zur Arbeit bestimmt einen Großteil der Verkehrsleistung und damit der Emissionen im Verkehrssektor. Betriebe haben damit einen erheblichen Einfluss auf das Erreichen unserer Klimaschutzziele. Betriebliches Mobilitätsmanagement gibt ihnen dazu einen Werkzeugkasten an die Hand.

Frank: BMM ist /sollte ein wichtiger Bestandteil der Unternehmenskultur und kann bei entsprechender Integration und Ausrichtung ein wichtiger Faktor bei der Mitarbeiterbindung und dem Anwerben neuer Talente sein. Gerade bei KMUs kann BMM behilflich sein, sich gegenüber der Konkurrenz abzuheben. BMM fördert die Gesundheit & Zufriedenheit der Belegschaft durch flexible und bewegungsfördernde Angebote (Sharing, Rad etc.) und ist ein adäquates Mittel, um die Abkehr vom „Auto“-Fokus zu managen, dabei geht es jedoch nicht um ein Verbot des Dienstwagens, sondern um bedarfsgerechte Berücksichtigung der Mobilitätsanforderung der Belegschaft. BMM mit neuen Mobilitätsmaßnahmen (Sharing, Pooling, Elektrifizierung) ist zudem ein wichtiger Bestandteil bei der Einhaltung zukünftiger CO2- & Nachhaltigkeitsziele und ein Mittel, um in den Kontakt mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu gelangen. Anforderungen ändern sich über die Zeit, ein erfolgreiches BMM ist dynamisch und schafft es die sich ändernden Bedürfnisse der Mitarbeiter (Home Office etc.) zu erkennen und in Maßnahmen umzuleiten à dafür muss man seine Belegschaft und deren Mobilitätsverhalten kennen. Daher sind Analysephasen, das Ableiten von Maßnahmen und vor allem ein Monitoring wesentliche Bestandteile eines guten BMM.

driversity: Wie stellt ihr euch die Mitarbeitermobilität in 10 Jahren vor?

Max: Ein Mix von Reisemöglichkeiten, die einfach bezahlt und berechnet werden.

Ich erwarte viel mehr Radverkehr, in Kombination mit öffentlichem Nahverkehr und dem Auto. Zusätzlich erwarte ich in Deutschland auch lokale und regionale Initiative (von Städten, Regionen und Bundesländern) um Reisen nachhaltiger zu machen. Dabei erwarte ich auch die Zusammenarbeit mit Arbeitgebern.

Clemens: Reduziert, geteilt, emissionsfrei, aktiv. Unnötige Fahrten und vor allem Dienstreisen sollten vermieden werden, was nicht nur dem Klimaschutz dient, sondern auch Kosten reduziert. Verkehrsvermeidung ist der schnellste, günstigste und wirksamste Klimaschutz-Hebel. Verbleibende Fahrten sollten mit möglichst hohem Besetzungsgrad lokal emissionsfreier Fahrzeuge erfolgen. Kurze Wege dürfen auch gerne mit dem Fahrrad/Pedelec oder zu Fuß zurückgelegt werden, was auch der Gesundheit dient und Krankheitstage senkt.

Frank: Flexibel, vielfältig, dynamisch, grüner, zellular. Mitarbeitermobilität wird anders verstanden werden als heute à Entwicklungen im Mobilitätsbereich wie das automatisierte Fahren, On-Demand-Verkehre oder die New-Work-Themen (Home Office, Remote Work, Co-Working etc.) setzen ein flexibles Management der eigenen Unternehmensmobilität voraus. Die starre Dienstwagenlogik wird nicht mehr greifen. Ein oder zwei Mobilitätsplattformen werden sich durchgesetzt haben, welche nicht nur auf nationaler, sondern auch internationaler Ebene agieren – davon profitieren auch Unternehmen. Unternehmensstandorte werden z.T. ihre Bedeutung als reine Arbeitsstätte verlieren (Home Office etc.) à dennoch können Sie wichtige Infrastruktur im Mobilitätsbereich (Hubs), aber auch darüber hinaus (IKT, Energie, Aufenthaltsflächen) nicht nur für die Mitarbeiter*innen, sondern über die Einbindung in Quartierskonzepte auch für die Öffentlichkeit bereitstellen. Die Frage wird nicht mehr sein, welchen Dienstwagen kann ich fahren, sondern welches Mobilitätsbuffet/-budget/ -potpourri kann ich als Mitarbeiter erhalten. Die Frage danach wird im Bewerbungsgespräch wie selbstverständlich sein

driversity: Ist Mitarbeitermobilität in Zeiten von Home Office überhaupt noch so ein großes Thema?

Max: JA!!! Laufen, Weeting (Walking Meeting) und Fahrradfahren bringt Entspannung und Bewegung und damit Spirit und Produktivität.

Clemens: Viele Tätigkeiten erfordern eine Präsenz vor Ort. Selbst bei reinen Büro-Jobs wird ein physisches Treffen immer wieder notwendig sein. Home Office wird aber die Anzahl der Tage reduzieren, an denen Büro-Arbeiter zur Arbeit ins Büro fahren müssen und damit zur Verkehrsvermeidung beitragen. Einen großen Hebel werden Video-Konferenzen auch bei der Vermeidung von Dienstreisen haben.

Frank: Gerade in Zeiten von Home Office und New Work ist die Mitarbeitermobilität gefragter denn je. Wir reden hier ja hauptsächlich von digitaler Mobilität (Bereitstellung von Tools wie Laptop etc.), aber auch von der Anpassung von starren Arbeitsverträgen. Dennoch werden weiterhin Mitarbeiter*innen zur Arbeit bzw. zu Kunden fahren müssen. Zudem gibt es viele Berufszweige, die nicht auf Home Office umstellen können (Handwerk, Pflege etc.). Ebenso Unternehmen, bei denen der Betriebsrat z.B. aus Fairnessgründen gegenüber der gesamten Belegschaft gegen Home Office stimmt. BMM & Mitarbeitermobilität muss auch auf diese komplexeren Umstände Antworten finden.

driversity: Gibt es bereits BMM-Projekte (Vorbilder/Beispiele), die umgesetzt worden sind bzw. an denen man sich orientieren kann?

Max: JA!! Das heißt „die Niederlanden“!

 Clemens: Ich kenne viele Unternehmen, die bereits einzelne Bausteine umgesetzt haben, wie z.B. Job-Tickets, Job-Rad, Fahrrad-Infrastruktur mit Duschen, Mitfahr-Börsen, umweltfreundliche Travel Policies, etc.. Dieses schrittweise Vorgehen halte ich auch für einen sinnvollen Ansatz. Vorbildlich erscheint mir z.B. der Green Mobility-Ansatz der DES GmbH aus Rostock: https://des.de/unternehmen/nachhaltigkeit/green-mobility/

Frank: Zum Beispiel hat SAP ein Mobilitätsbudget anstelle der Dienstwagen eingeführt. Als weitere Beispiele kann man VAUDE und Kraft + Kraft nennen.

driversity: Was sind die Vorteile von BMM für Unternehmen? Warum sollte sich jedes Unternehmen mit BMM beschäftigen?

Max: Nachhaltige Umwelt, Nachhaltigkeit wegen der Einsatzbereitschaft von Mitarbeitenden, Kosteneinsparungen.

Clemens: Die Vorteile liegen auf der Hand: ganz unabhängig von möglichen Klimaschutz-Zielen können Unternehmen mit BMM oft Kosten für Fuhrpark, Dienstwagen, Dienstreisen und Parkplätze einsparen, als auch z.B. durch Mitfahrgelegenheiten die abteilungsübergreifende, interne Kommunikation verbessern und durch aktive Mobilität die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten fördern und damit Krankheitstage und Frühverrentung reduzieren.

Frank:  Unternehmenskultur/Mitarbeiterbindung, Kosteneinsparungen z.B. durch Dienstwagenreduktion, Angebotsvielfalt, Reduktion des CO2-Abdruckes je Mitarbeiter etc.

driversity: Wann wäre das Projekt für euch ein Erfolg, wann wäre es gescheitert?

Max: Das Projekt ist für mich nur ein Erfolg, wenn das Management und alle Mitarbeitenden ihre Verkehrsmittel für die Reise bewusst wählen und sich im Vorhinein Gedanken gemacht wurde, ob die Reise wirklich notwendig ist.

Clemens: Ein Erfolg wäre das Projekt aus meiner Sicht, wenn es uns damit gelingt, möglichst viele Unternehmen zu motivieren, auch ein betriebliches Mobilitätsmanagement einzuführen.

Frank: Scheitern ist ein zu harter Begriff. Manchmal gibt es gute Gründe, eine Maßnahme nicht sofort umzusetzen. Sei es aufgrund der vorhandenen Fuhrparkstruktur/Leasingzeiten, Widerständen/Bedenken bei der Belegschaft (welche erst aufgelöst werden müssen), ein zu dynamischer Anbietermarkt oder nicht wettbewerbsfähige Anbieter, eine unklare steuerliche Einschätzung (z.B. beim Mobilitätsbudget). Wichtiger als Erfolg und Misserfolg ist das klare setzten einer Zielrichtung, die Entwicklung einer Roadmap (die Zeit für Zeit angepasst wird) und vielleicht das erste setzen eines Impulses. Scheitern in diesem Sinne gibt es nicht, da man fragen würde, warum hat es nicht geklappt, was waren die Hürden und die entsprechenden Weichen für die Zukunft setzt. Freuen würde es mich, wenn wir diese Hürden schon zu Beginn eines Projektes identifizieren und dementsprechend unsere Maßnahmen anpassen.

driversity: Benötigt es für eine Mobilitätswende zwingend ein Anreizsystem?

Max: JA! ABER das muss nicht unbedingt ein finanzieller Anreiz sein.

Clemens: Viele Beschäftigte sind intrinsisch motiviert und brauchen kaum weitere Anreize. Alle anderen erreichen wir mit Anreizen und klaren Regeln. Um maximale Wirkung zu erzielen, halte ich Anreize daher für notwendig.

Frank: Anreizsysteme sind ein wichtiger Bestandteil der Mobilitätswende, nur durch Regularien, Verbote (z.B. Fahrverbote in den Innenstädten etc.) wird sich die Mobilitätswende nicht umsetzten lassen. Ohne Anreizsysteme (Pullfaktoren), bilden sich schwer zu überwindende Widerstände. Gut zu beobachten am Beispiel der Steuererleichterungen für Elektrofahrzeuge. Erst nach diesen zeigt sich etwas Bewegung auf dem Elektromobilitätsmarkt (natürlich gibt es weitere Förderung wie Herstellerprämien und staatliche BAFA-Förderung). Vor allem im Flottenbereich, da Fuhrparkmanager*innen (zukünftig Mobilitätsmanager*innen) wichtige Argumente für eine Umstellung des Fuhrparks erhalten und sich Widerstände in der Belegschaft leichter überwinden lassen.

Gleiches gilt für das Dienstradleasing oder die Steuerfreiheit für ÖPNV-Fahrten.

driversity: Vielen Dank für Eure Zeit und das interessante Gespräch!