Unsere driversity Trendbeobachter Katrin Roubanis, Romeo Suleiman und Frederic Sattler (v.l.n.r.) haben mit
Laura Gebhardt, Wissenschaftlerin in der Abteilung Mobilität und urbane Entwicklung des Instituts für Verkehrsforschung  Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) gesprochen. Hier geben sie Euch einen Einblick in das Thema Mikromobilität sowie die damit verbundenen Chancen und Herausforderungen.  

Nur ein Hype oder Teil unserer mobilen Zukunft - wie Mikromobilität unsere Städte verändert

Mittlerweile leben in Deutschland über 70 Prozent der Menschen in Städten (Quelle statistisches Bundesamt) und die Prognosen sprechen Klartext: Städte sind der Lebensraum der Zukunft. Daher benötigen wir ein Umdenken der Beziehung von Stadtraum und Straßenraum.

„Wenn wir Mobilität nachhaltiger, bedarfsgerechter und effizienter gestalten wollen, brauchen wir ein großes Portfolio an Mobilitätsoptionen, die den Menschen zur Verfügung stehen. Nur dann kann jede*r, abhängig von den individuellen Anforderungen und der jeweiligen Situation, aus dieser Palette auswählen, wie sie oder er am besten von A nach B kommen. Mikromobilität kann hier sicherlich ein Baustein sein.“ so die Verkehrsforscherin Laura Gebhardt vom DLR.

Was ist Mikromobilität überhaupt? 

Bei Mikromobilen handelt es sich um Kleinstfahrzeuge, die meist elektrisch betrieben werden und ein bis maximal zwei Personen befördern können. Sie werden als Ergänzung der bestehenden Mobilität gesehen. Dazu zählen z.B. Fahrräder und Roller, Segways oder Hoverboards, aber auch Kleinstwagen wie der Seat Minimó.

Mikromobile erweitern das Angebot an Verkehrsmitteln in bestimmten Situationen: z.B. fährt man den längsten Teil einer Strecke mit der Bahn, für den ersten oder letzten Kilometer bis zum tatsächlichen Ziel steigt man auf einen Scooter oder das Longboard um.

So ergab eine Potenzialanalyse des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums zum Thema E-Scooter, dass rund 10-15 Prozent aller PKW-Wege theoretisch durch E-Scooter ersetzt werden könnten. Täglich gibt es übrigens fast 30 Mio. PKW Fahrten unter zwei Kilometern und weitere 30 Mio Fahrten unter vier Kilometern (*Quelle MID 2017 (Mobilität in Deutschland)).

Auch das Lastenrad hat Potenzial, die urbane Mobilität zu revolutionieren: laut dem EU-Project CycleLogistics könnten 51% aller motorisierten Transporte in europäischen Städten auf Fahrräder, Radanhänger oder Lastenräder verlagert werden, da sie eine Streckenlänge von unter sieben Kilometern und ein Gewicht von weniger als 200 kg haben [Reiter/Wrighton 2016]. Lastenräder machen überdies Kindern Freude, sind „très chic“ und gut für Gesundheit und Umwelt. Dazu klingelt es im Portemonnaie: mit einem Lastenrad spart man viel Geld – z.B. für Treibstoff, Parken und Steuer.

Jetzt werden einige sagen: “Was ist daran neu, Fahrräder und Roller – das gibt’s doch schon lange?”

Stimmt, vor allem Fahrräder und E-Bikes bestimmen schon länger das Stadtbild. Jeder lernt als Kind Fahrrad fahren. Es ist eines der ersten und flexibelsten Fortbewegungsmittel. Auf dem Weg ins Erwachsensein -werden wir allerdings auf das erste Automobil konditioniert und vergessen zunehmend die kindliche Freude des Fahrradfahrens. In den letzten Jahren gewinnt der Drahtesel durch vielseitige Auswahl, ansprechendes Design, aber auch durch Leasingangebote z.B. für Mitarbeiter wieder enorm an Bedeutung. Leider wachsen Infrastruktur und Rahmenbedingungen nicht in gleicher Geschwindigkeit mit.

Mikromobilität  - ein Großstadtphänomen?

In der Debatte um Mikromobilität geht es eben auch um die Neuverteilung des Stadt- und Straßenraums. Hier müssen Infrastruktur und Stadtplanung angepasst werden. So entstanden im Jahr 2020 in Berlin, München, Nürnberg, Stuttgart und Düsseldorf Pop-Up-Radwege, diese verschwanden aber auch zum Teil schnell wieder – Deutschland scheint doch noch nicht bereit für mehr Radverkehr und weniger Autoverkehr. Blicken wir hingegen nach Paris, Kopenhagen, Brüssel oder Amsterdam, erkennen wir schnell: Wo ein Wille ist, ist auch ein Radweg.

Die öffentliche Debatte zu Mikromobilität ist richtig und wichtig. Sie gibt einen Vorgeschmack auf die Neuverteilung des öffentlichen Raumes wobei viele Fragen offen sind: Gehweg, Fahrradwege oder Straße – wo sollen E-Bikes, E-Scooter & Co unterwegs sein? Brauchen wir spezielle Parkzonen, wie wir sie auch für Pkw haben? Wie steht es um die Sicherheit? Brauchen wir eine Helmpflicht? Auch der Aspekt der Nachhaltigkeit ist noch nicht ausreichend beleuchtet: Wie ökologisch sinnvoll sind zum Beispiel E-Scooter, wenn man Aspekte wie Produktion, Lebensdauer und Aufwand fürs Laden und Instandhalten miteinbezieht?

Es geht auch etwas kleiner

Verkehrsforscherin Laura Gebhardt wünscht sich mehr Projekte in weniger dicht besiedelten Gebieten, die auch dort erproben, ob und wie Mikromobilität den Alltag der Menschen vereinfachen kann: „Verkehrsinnovationen der letzten Zeit, ob Sharing-Angebote oder On-Demand-Shuttles, sind fast ausschließlich in den Zentren großer Städte zu finden. Denn dort leben die meisten potenziellen Nutzer*innen, meist jüngere Menschen, die den Umgang mit digitalen Endgeräten gewohnt sind. Sonst lohnt es sich für die Anbieter nicht. Im Umkehrschluss heißt das allerdings nicht, dass sich Mikromobile nur für urbane Räume eignen. Sie bieten auch eine Chance für Bereiche am Stadtrand oder für nicht so dicht besiedelte Gebiete, in denen der öffentliche Nahverkehr ausgedünnt oder nicht vorhanden ist. Hier könnte ein Mikromobil z.B. als Zubringer zum ÖPNV dienen.“

Quo Vadis?

Was die Forschung zu Mikromobilität betrifft, stehen wir noch am Anfang. Es lohnt sich, diesen neuen Mobilitätsangeboten Zeit zu geben, sie nicht nur weiter zu beobachten, sondern selbst auszuprobieren und aktiv mitzuprägen.

„Wie Vieles in unserem Leben ist auch unsere Mobilität sehr stark von Routinen geprägt, die sich über Jahre etabliert haben. Und unser Verhalten ändert sich nur langsam.“ sagt Laura Gebhardt. Wer aber wagt, Neues zu testen und alte Spurrillen zu verlassen, wird zumindest seinen Erfahrungsschatz erweitern und neue Perspektiven erfahren. Sind diese Erfahrungen positiv, besteht die Chance, dass das Aufbrechen von Gewohnheiten auch bei kurzfristigen Veränderungen im Mobilitätsverhalten zu dauerhaften Verhaltensänderungen führen kann (Theorie der Verkehrspsychologie nach Fujii, Gärling & Kitamura, 2001).

Der erste Schritt: #einfachmalmachen

Bei driversity wird das Thema Mikromobilität in den kommenden Wochen von verschiedenen Seiten beleuchtet. Austausch, gemeinsames Lernen, authentische Erfahrungen und Interaktion – unabhängig von kommerziellen Anbietern – stehen dabei im Vordergrund. Schaut einfach mal vorbei – es lohnt sich.