Mobilität im Quartier – Oder: Ist das Gewerbegebiet auch ein Quartier? 

Die Mobilität gemeinsam neu und nachhaltig denken – dafür steht driversity.

Wie in unserem ersten Blogeintrag zum Themenmonat Quartiers- und Mobilitätsentwicklung beschrieben, wollen wir uns nun dem Quartier zuwenden, wenn wir von Mobilität und Mobilitätswende reden. Die Mobilitätswende funktioniert auch abseits der großen, leuchtenden Beispiele wie Paris, Barcelona oder Wien, auch wenn die Wahrnehmung oft eine andere ist. Doch gerade im vermeintlichen Kleinen des Quartiers liegt die Chance, durch Partizipation und gemeinsames engagiertes Handeln einen Teil der Lösung hin zu einer akzeptierten und nachhaltigen Mobilitätswende zu erreichen. 

Greifen wir uns an dieser Stelle speziell das Arbeitsquartier heraus. Oder wie man es auch nennt: „Gewerbegebiet“. Im Sinne einer lebenswerten Stadt der kurzen Wege kann dieses nicht weiter nur die Funktion als Arbeitsstätte erfüllen. Auch hier bedarf es einer Nutzungsmischung, um unterschiedliche Funktionen möglichst zu bündeln, Verkehre einzusparen und durch eine Neuorganisation der Mobilität das Quartier auch abseits der klassischen 9 to 5 Zeiten attraktiv und gut erreichbar zu machen. Von den „neuen Arbeitswelten“ haben wir bereits berichtet. Verlässt man den Status Quo der überwiegend separat betrachteten Bereiche Work, Life und Mobility rückt die Mobilität als starkes Verbindungsglied in den Fokus. Die existenziellen Elemente wie Work und Life weisen somit deutlich erweiterte Schnittmengen auf. 

Speziell für Gewerbequartiere fungiert die Mobilität als ein wichtiges modulares Hilfsmittel. Denn: Pendelmobilität ist heute an vielen Stellen weder zukunftstauglich noch nachhaltig organisiert und es fehlt an einer Vision, wie diese aussehen kann. Arbeiten, Wohnen, Versorgen und Freizeit spielen sich – insbesondere in urbanen Räumen mit flächig weit verteilten, polyzentrischen Strukturen – erheblich in unterschiedlichen Stadträumen ab und sorgen so für eine hohe Verkehrsbelastung, vornehmlich durch motorisierten Individualverkehr. Alternativen zum eigenen Auto werden häufig systematisch unterschätzt.  

Schließlich ist auch das Arbeitsquartier Teil des Stadtraums und sollte nicht mehr abgekapselt betrachtet und verstanden wissen. Von der Rückeroberung der Stadt haben wir schon oft gehört und gelesen. Doch warum nicht auch bewusst Gewerbestandorte mit einbeziehen? Bei Nachnutzungskonzepten funktioniert dies vielfach bereits sehr gut. Wo früher gearbeitet wurde, wird heute gewohnt und/oder Freizeit verbracht. Mit neuen Konzepten lässt sich die künstliche Trennung auch für aktive Arbeitsorte aufheben oder zumindest abmildern.  

 

Praxisbeispiel aus dem driversity-Schaufenster 

Öffnen wir an dieser Stelle mal unser driversity-Schaufenster: Innerhalb des driversity-Netzwerks hat sich das Team Mobilitätsbuffet mit innovativen Ansätzen für moderne Mitarbeitendenmobilität auseinandergesetzt. Ein laufendes Modellprojekt in diesem Zusammenhang ist:

Stöcken 17 

….ein altes Fabrikareal in Solingen, welches als Gewerbefläche reaktiviert werden soll. Das Team hat drei Szenarien erarbeitet, die in die Projektentwicklung gemeinsam mit der Wirtschaftsförderung Solingen, der Stadt Solingen und weiteren Stakeholdern einfließen. Dabei geht diese Betrachtung weit über das klassische betriebliche Mobilitätsmanagement (BMM) hinaus. Die Szenarien greifen sowohl die bekannten Aspekte des BMM auf und schaffen zugleich unterschiedliche Schwerpunkte in Bezug auf die Gesamtentwicklung eines Gewerbequartieres: „New Mobility“, „100% Emissionsfrei“ und „Work-Life Campus“. Allen gemein ist jedoch die Verschneidung von Leben, Arbeiten und Mobilsein.

Bei der (Neu-)Planung von Gewerbestandorten, welche dem neuen Leitbild einer menschengerechten und lebenswerten Stadt Rechnung trägt, ist der Aspekt einer nachhaltigen Mobilität unter dem Motto „Mehr Mobilität mit weniger Verkehr“ unserer Meinung nach eine essenzielle Entwicklungsgröße. Doch es ergeben sich einige Leitfragen: 

  • Wie genau werden wir in Zukunft arbeiten? 
  • Wie und womit werden wir uns in Zukunft fortbewegen, also mobil sein? 

Und in Bezug auf die Ansiedlungsstrategie für ein Gewerbequartier: 

  • Wirken innovative Mobilitätsansätze im Lichte von New Work und New Mobility als Magnet für innovative Unternehmen (Angebot)… 
  • …oder wirkt es andersrum, siedeln sich also innovative Mobilitätsansätze dort an, wo die innovativen Unternehmen (Bedarfe) bereits sind? 

Um diese Fragen zu überprüfen, bedarf es – getreu dem Motto: einfach mal machen – nun eines gewissen planerischen Freiraums auf der einen und einer ordentlichen Portion Mut auf der anderen Seite. Oben angesprochene Szenarien beleuchten daher bewusst eine eher normative Ebene, die die Ansprüche, Ideale, Utopien und schließlich Zielbilder eines solchen Quartieres thematisiert. Sie sollen hier kurz angerissen werden: 

 

„New Mobility“ 

Fokussiert die Entwicklungsstrategie auf das Themenfeld innovative Mobilität als Impulsgeber und Imagefaktor. Es basiert auf den Trends bzw. Zukunftsthemen aus den Bereichen Automotive und Mobilität. Urbane Mobilität bedarf der Entwicklung ganzheitlicher, systemischer Lösungen. Daher zeigt dieses Szenario ein Verschmelzen von Individual-Mobilität und öffentlicher Mobilität. Das Quartier Stöcken 17 bildet einen Ort für das Aufeinandertreffen von Wirtschaft, Forschung und Nutzenden – zum Treffen, Forschen und Entwickeln. Als Erlebnis-, Lern- und Begegnungsort steht er außerdem interessierten Bürgerinnen und Bürgern, Schülerinnen und Schülern und Studierenden offen. Die Mobilitätswende gelingt nur, wenn sich auch die Art und Weise ändert, wie wir Mobilität kulturell leben und erleben. Stöcken 17 versteht sich als Reallabor. Neue Mobilitätslösungen sollen direkt zur Erschließung des Quartiers zur Anwendung kommen. Im Idealfall erdacht und betrieben aber genauso auch genutzt von Anbieter*innen und Nachfrager*innen vor Ort. So kann Stöcken 17 einen aktiven Beitrag zum Kulturwandel schaffen und das Quartier bedarfsgerecht entwickeln.  

 

„100% Emissionsfrei“ 

–  sowohl hinsichtlich Ansiedlung als auch Mobilität. In allen Belangen ist hier Stöcken17 ein nachhaltiges Areal – von der Entwicklung über die Umsetzung bis zur Nutzung. Es zeichnet sich durch 100%ige Emissionsfreiheit, einer zirkulären Wertschöpfung (Circular Economy), einer digitalen Vernetzung aber auch durch Entsiegelung, Dach- und Fassadenbegrünung sowie die Erhöhung der Biodiversität aus. Architektur und Gebäude sind nicht nur aus nachhaltigen Baustoffen erbaut, sondern zeichnen sich durch eine modulare und flexible Bauweise aus. Sie tragen maßgeblich zur Aufenthaltsqualität bei. Eckpunkte des Konzeptes stellen die Pfeiler Suffizienz, Effizienz und Konsistenz dar.  

 

„Work-Life-Campus“ 

Wir positionieren dabei Mobilität nicht neben der Arbeit bzw. dem Privatleben oder sehen es gar nur als einfaches Mittel zum Zweck. Wir ändern die Perspektive bzw. das Mindset und schaffen Voraussetzungen, um sinnvolle und praktikable Mobilität mit weniger Verkehr in ein Gesamtkonzept einzubetten. Stöcken17 wird das Areal, um Work, Life und Mobility optimal in Einklang zu bringen und für ALLE nutzbar zu machen – für Mieter*innen und Anrainer*innen. Durch diese Symbiose schaffen wir insgesamt mehr soziale Qualität und Kompetenz und ein optimiertes Umfeld für Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen mit entsprechender Signalwirkung im War of Talents. Der Campus schafft Raum, die Vereinbarkeit von Arbeit und Leben aktiv auszubalancieren und in der Folge Arbeitsqualität bzw. -quantität zu optimieren. Auf Stöcken17 verschmilzt Arbeits- und Lebensraum, schafft lebendige Refugien und ein lebendiges und aktives Netzwerk. Tagsüber ist der Campus ein idealer Working Space, Test- und Freiraum, abends ein Lebensraum und Treffpunkt mit vielfältigen Angeboten für Mieter*innen und Anrainer*innen. Es ist ein Magnet für die Ansiedlung von Gewerbe mit der Bereitschaft, Work, Life und Mobility neu zu gestalten und erlebbar zu machen. Mobilität ist dabei ein gleichwertiger und integrativer Bestandteil – eine wichtige Komponente des Campus-Konzeptes. 

Quartiersmobilität 

Nachhaltige Mitarbeitenden-Mobilität im (Gewerbe)Quartier. Wo fängt sie an, wo hört sie auf? Die Übergänge der drei Bereiche Work, Life und Mobility sind fließend und gehen grenzenlos ineinander über. Somit ergänzen bzw. verschmelzen sich auch bewusst die einzelnen Angebote aus diesen drei Bereichen. Bei Stöcken 17 denken wir Mobilität im Kontext von Arbeit und Leben. Innerhalb des Gewerbegebiets soll durch die spezielle Ausgestaltung und Verbindung von Leben und Arbeit eine Reduktion von Bewegungsanlässen realisiert werden. Getreu der angestrebten Nutzungsmischung beinhaltet dies die Ansiedlung von Angeboten und Services, welche die Bedürfnisse der Beteiligten sowohl privat als auch beruflich optimal erfüllen. Ziel ist es, die Beteiligten im Quartier zu halten und dadurch Wege zu vermeiden. 

Das Zielbild für das Quartiers-Mobilitätskonzept sollte sich darüber hinaus durch einen Verzicht oder zumindest durch eine Minimierung von klassischen Parkplätzen auf dem Gelände auszeichnen. Ausnahme würden hierbei Fahrgemeinschaften bilden, um einen Anreiz für solche zu bieten. Hier kann eine Mitfahrendenbank auf Basis einer Campus App als „Hub“ fungieren, um flexible Fahrgemeinschaften bilden zu können. Eine Bonus-/Malus- Regelung für die Anreise zur Arbeit soll über einen finanziellen Anreiz oder andere Benefits eine nachhaltige Mobilität fördern – Anreise ohne PKW oder mit Mitfahrenden = Bonus. Also je nachhaltiger umso höher der Bonus. Eine weitere Ausnahme bildet eine kleine Anzahl an Parkplätzen exklusiv für E-Autos und E-Transporter mit Ladevorrichtungen. Die Parkplätze für alle anderen befinden sich idealerweise an P+R Anlagen. Im besten Fall ergänzt durch einen (ggf. autonomen) On-Demand-Service zu den P+R Anlagen bzw. zum Mobilitäts-Hub außerhalb des Quartiers. Generell ist hier die funktionale Verknüpfung mit der Gesamtstadt und dem Umland sehr wichtig. Der ÖPNV sollte immer als Rückgrat einer nachhaltigen Mobilität verstanden werden, ergänzt um bedarfsgerechte Angebote, welche vor allem die erste und letzte Meile abdecken. Ein stöcken-eigenes Sharing-Konzept für alle Nutzenden, sowohl tagsüber also auch für den abendlichen Heimweg, bietet die nötige Flexibilität. Zu diesem Pool gehören neben E-Fahrzeugen auch Fahrräder, Lastenpedelecs, Street-Scooter etc. sowie die entsprechende Infrastruktur auf dem Gelände. Ergänzt werden könnte es durch eine Art Mobilitätsgarantie. Die Betreibenden bieten den Nutzenden die Sicherheit, jederzeit auch ohne eigenen PKW mobil zu sein.  

Eine alte Straßenbahntrasse kann als Radweg erschlossen werden und so die Anbindung an das Radwegenetz sicherstellen. Die Radwege sollen beleuchtet und möglichst kreuzungsfrei sein. Auch auf dem Campus soll der Fahrradverkehr gefördert werden, u. a. durch sichere und witterungsgeschützte Abstellanlagen, Reparatur- und Servicestationen, Ladeinfrastruktur sowie Sanitärräume (Duschen, Umkleiden). 

Die Anlieferung von Material (z. B. für die Produktion) sollte nicht zu den Hauptverkehrszeiten erfolgen. Anzustreben ist ein gebündelter KEP (Kurier-, Express- und Paketdienste)-Service mit E-Antrieb sowie Packstationen, die auch eine Frachtmitnahme und Auslieferung am Standort ermöglicht. Sowohl für kleine Nutzfahrzeuge als auch für LKW sollte Ladeinfrastruktur angeboten werden. Und warum nicht auch ein Drohnen-Hub auf dem Dach? Zumindest sollten alle baulichen Infrastrukturen so flexibel anpassbar sein, dass auch zukünftigen Entwicklungen Rechnung getragen werden kann.  

Gebündelt werden kann und sollte dies alles in einem multifunktionalen Mobilitäts-Hub im Quartier. Alle “Verkehrsflächen” im Quartier könnten dann als Shared Space angelegt werden. Jeder nimmt auf jeden Rücksicht, der Raum steht allen gleichberechtigt zur Verfügung. Und somit schließt sich der Kreis. Denn schließlich geht es bei allen Überlegungen darum, den Raum, in dem wir als Menschen leben, so lebenswert wie möglich zu gestalten. Den Menschen wieder in den Mittelpunkt unserer planerischen und ökonomischen Aktivitäten zu stellen. Daher sollten gerade Arbeitsquartiere auch immer eine Einladung an die Menschen aussprechen, sich gerne in ihnen aufzuhalten und zu bewegen.