Schwätz net, mach!

Die Ottobahn möchte mit autonom fahrenden Schwebegondeln den Verkehr entlasten. Was genau hinter dem Projekt steckt und mit welchen Herausforderungen das Münchner Start-Up zu kämpfen hat, erzählt uns Managing Director und Can-Do-Officer Marc Schindler im driversity Interview:

Ottobahn – was ist das  ?

Die Ottobahn ist ein projektiertes Transportsystem, das sich emissionsfrei und vollautomatisiert oberhalb heutiger Straßen bewegen soll. Entlang eines aufgeständerten festen Schienennetzes sollen Fahrgäste in hängenden Kabinen, die sie per Smartphone-App bestellen, ohne Zwischenhalt oder Umsteigen an ein beliebiges Fahrtziel auf der Strecke gebracht werden können. Jede Kabine soll autonom steuern, wie schnell sie fährt und welche Route sie wählt. Mittels eines Senk-Hebe-Systems können sich die Gondeln zu Boden senken, so dass die Passagiere ohne Hochbahnhöfe ebenerdig ein- und aussteigen können. Die Gondeln sollen mit Sensoren ausgestattet werden, die beim Absenken der Kabinen Personen und Hindernisse erkennen. Es sind Gondeln für bis zu vier Personen oder Güter bis zu einer Tonne Gewicht geplant.

Der Name Ottobahn verweist übrigens auf den bayerischen König Otto I. – und damit auf die bayerischen Wurzeln des Unternehmens – und lehnt lautmalerisch an das Wort „Autobahn“ an.

Die Initialzündung

Die Idee entstand in Bangkok. Auch in München steht man oft im Stau, aber wenn du in Bangkok bei ganz anderen Außentemperaturen und einer schlecht funktionierenden Klimaanlage im Auto sitzt, ist der Leidensdruck nochmal größer. Dort gibt es den Sky Train, der sich oberirdisch bewegt. Und dann war es klar! Der Raum, der uns in den Städten noch zur Verfügung steht, ist über Grund. Das war die Initialzündung für die Ottobahn.

Ich bin Wirtschaftsingenieur und war lange in der Automobilbranche tätig. Die Frage, wie eine nachhaltige Verkehrswende gelingt, beschäftigt mich schon eine ganze Weile. Die Vision einer vollautomatisierten Hängebahn ließ mich daher nicht mehr los. Es folgte ein sehr langer Prozess, in dem überlegt wurde, wie so eine Technologie tatsächlich aussehen könnte. Zum Glück habe ich ein großartiges Team an meiner Seite, das genauso verrückt ist wie ich – positiv verrückt. Die Leute, egal ob sie vom Maschinenbau oder aus der Informatik kommen, brennen für dieses Thema. Weil sie einen Sinn in ihrer Arbeit sehen.

Der Vorteil der Ottobahn ist, dass du sie per App rufen und beliebig zu-und aussteigen kannst. Wir wissen, dass das Verhalten der Menschen zu 80 Prozent jeden Tag gleich ist. Also können wir unseren Fahrgästen zukünftig empfehlen, wann wir sie abholen – vielleicht kennen wir sogar ihren Terminkalender. Mit diesem Wissen nutzen wir einfache Sortier-Algorithmen aus der Logistik und stellen die entsprechenden Kabinen-Reihenfolgen her. So können wir Stausituationen vermeiden.

„Wir erzeugen mehr Energie als wir verbrauchen“

Die Energie, die wir benötigen, möchten wir selbst produzieren. Die Gleisträger sollen mit Solarzellen und Panels bepflanzt werden.

„Wir schaffen mit der Ottobahn nicht nur ein Transportsystem, sondern auch ein Energieerzeugungs- und -Management-Netz.“

So, wie wir das kalkuliert haben, werden wir mehr Energie erzeugen, als wir tatsächlich für das Fahren verbrauchen. Unter der Trasse könnte ein Radweg entstehen, überdacht und beleuchtet und im Winter schneefrei.

Wir sehen uns nicht als Konkurrenz zu anderen Verkehrsangeboten, sondern als eine Ergänzung. Dort, wo die Kapazitäten nicht ausreichen, möchten wir einen Zusatznutzen anbieten. Das können Strecken auf dem Land sein, die bislang vom ÖVPN ausgeschlossen sind. In den Städten möchten wir für Entlastung und mehr Lebensqualität sorgen.

 

„Das eigene Erleben ist ein entscheidender Moment“

Wir stehen vor großen Herausforderungen. Zum einen braucht unser Team noch mehr von diesen verrückten Menschen, die die Ottobahn-Idee weiterentwickeln. Das Thema Material-Knappheit hat uns auch zu schaffen gemacht, aber die Lage entspannt sich gerade. Und natürlich geht es für ein Start-Up auch immer darum, Geld zu beschaffen. Wir sind derzeit in einer Phase, in der wir Geld verbrennen. Da braucht es mutige Investoren, die wir zum Glück an unserer Seite haben. Tatsächlich sind das in erster Linie Business Angels: Menschen, die ihr privates Geld einbringen, weil sie an die Sache glauben. Natürlich suchen wir ständig auch nach neuen Investoren, die die nächsten Schritte mit uns gehen wollen.

Gerade haben wir begonnen, die erste Teststrecke in Taufkirchen zu bauen. Hier soll die Bahn Serienreife erlangen und dann in der ganzen Welt eingesetzt werden. Wir möchten, dass die Menschen die Bahn wirklich erleben. Dieser Moment ist das Wichtigste überhaupt. Das gilt für alle technischen Innovationen, die Leute müssen die Dinge in die Hand nehmen, damit spielen, sie ausprobieren. Durch unsere Büroräume schwebt auf einer 40 Meter langen Rundstrecke ein voll funktionsfähiger Prototyp der Ottobahn. Wenn ich mit Besuchern in einem Raum stehe, per App die Kabine rufe, die dann angefahren kommt und ihre Türen öffnet, erscheint automatisch ein Lächeln auf ihren Gesichtern.

„Unsere Fehlerkultur hemmt Innovationen“

Mein Antrieb? Zum einen möchte ich meinem Sohn eine Welt hinterlassen, in der er gut leben kann. Auf der anderen Seite habe ich sehr viel Energie und wenn ich sehe, dass etwas machbar ist, lege ich los und arbeite, bis der Job erledigt ist. Diesen Ehrgeiz habe ich von meinem Vater geerbt, der immer zu mir gesagt hat: „Schwätz net, mach!“. Ich glaube, es ist so ein typisch deutsches Phänomen, dass Ideen erst einmal auseinandergenommen und zerredet werden, bis sich wirklich etwas tut. Hier sagt man: Naja, die Farbe ist nicht schön und die Lösung ist nur zu 90 Prozent perfekt.’ Zwischen 2016 und 2018 habe ich viel Zeit bei Tesla in den USA verbracht. Dort hieß es in solchen Situationen: „Lasst uns das einfach mal machen!“ Wer etwas Neues ausprobiert, nimmt natürlich immer das Risiko in Kauf zu scheitern. Und das hemmt uns Deutsche, weil wir keine gute Fehlerkultur haben. Weil immer einer kommt, der meint: ‚Habe ich dir doch gleich gesagt, da fehlen noch zehn Prozent.‘ Da können wir noch besser werden.

„Der Austausch ist wichtig“

Ohne ein gutes Netzwerk wäre die Ottobahn noch längst nicht da, wo sie heute ist. Im vergangenen Jahr hielt Arnold Schwarzenegger die Keynote auf der `Bits & Pretzels’-Gründermesse. Er machte keinen Hehl daraus, dass er durch extrem harte Arbeit viel erreicht hat.  Aber er sagte auch:

„Ich bin kein Selfmade-Mann. Ich bin nur so weit gekommen, weil ich ein Netzwerk entwickelt habe. Weil mich Menschen gepusht und unterstützt haben. Und das versuche ich zurückzugeben.“ (Arnold Schwarzenegger 2022)

Das hat mich tief beeindruckt. Bei der Ottobahn ist es so, dass wir glücklicherweise viele Mitstreiter gefunden haben, mit denen wir uns auf Augenhöhe austauschen können. Dazu zählen auch Mit-Wettbewerber und vermeintliche Konkurrenten. Ich finde es einfach cool zu sehen, dass an unterschiedlichen Fronten über diverse Technologien versucht wird, etwas Neues zu bewegen. Ganz ehrlich, unser Kerngeschäft ist nicht, dass wir irgendwelche Geheimnisse bewahren. Das ist mir egal. Ich will, dass es nach vorne geht.“